Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/95 vom 14.03.1996 Seite: 08495 noch: Ulla Jelpke Die Gruppe der PDS wird dem Anliegen der SPD jedenfalls zustimmen, eine Enquete-Kommission einzurichten. Auch ich meine, es muß darüber diskutiert werden, wie eine solche Untersuchung aussehen sollte. Auch wir sind der Meinung, daß in der Vergangenheit die Ausbreitung von Sekten und sogenannten Psychogruppen mehr und mehr zu einem allgemeingesellschaftlichen Problem geworden ist. Zum Teil können diese ,,spirituellen Sinnanbieter" bei der Besetzung gesellschaftlicher Schlüsselpositionen beachtliche Erfolge aufweisen, zum Teil ist es ihnen aber auch gelungen, in beachtlichem Maße mit bestimmten gesellschaftlichen Kreisen zusammenzuarbeiten. Wie meine Vorredner und -rednerinnen bereits dargestellt haben, haben wir es hier beileibe nicht nur mit der Scientology-Sekte zu tun, sondern mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher okkulter Sekten, neuheidnischer Religionsgemeinschaften, Geheimlogen und Orden wie die ,,Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem". Zum weiteren möchte ich hier den ,,Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis" nennen, der sich zu Beginn seiner obskuren Tätigkeit vor allem an Multiplikatoren wie Psychologen, Lehrer und Ärzte wandte und im Verlauf seiner Entstehung mehr und mehr Bündnisse mit alt- und neurechten Kräften einging. Heute arbeiten Angehörige der VPM beispielsweise mit der Einrichtung des Studienzentrums Weikersheim zusammen. Gemeinsam werden hier der Kampf gegen die neue Linke und die Aufweichung der Werte wie Familie und Volksgesundheit gepflegt. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist keine neue, sondern eine ganze alte Linke!) Es ist kein Wunder, daß man hier auf Tagungen und Kongressen mit dem Thema ,,Mut zur Ethik" die Zusammenarbeit mit Anhängern rechtsextremer und konservativer Kreise pflegte und entwickelte, auch mit Kräften aus dem Umfeld der ,,Evangelischen Notgemeinschaft Deutschland" und rechtskatholischer Kreise. Dieser Schulterschluß des VPM mit konservativen Persönlichkeiten und Rechtsextremisten wie Dieter von Glahn kam besonders deutlich zum Ausdruck, als die damalige Bundesministerin für Frauen und Jugend, Angela Merkel, den VPM in eine staatliche Sektenliste aufnahm. Allein die geplante Aufnahme in diese Sektenliste führte zu stürmischen und wütenden Protesten aus dem konservativen Lager. Man lese dies in dem sehr interessanten Buch zum VPM nach, das Ingolf Elfer und Holger Reile herausgegeben haben. Neben dieser Zusammenarbeit von Sekten und Kräften aus dem neurechten und konservativen Spektrum scheint mir als zweiter Bereich, in dem sich das Sektenunwesen herausbildet, die Hinwendung von Menschen zur Mystik und zu den Naturreligionen sehr wichtig. In den 80er Jahren bildete sich hier eine neue Spiritualität heraus. Ein neues Denken und die Mythologie sollten gegen die Technisierung und Modernisierung der Gesellschaft gesetzt werden. Die Abkehr von den Staatskirchen fand hier in der Hinwendung zu einem neuheidnischen Denken ihren Ausdruck. Antifaschistische Publizisten wiesen mit Recht darauf hin, daß es vor allem die extreme Rechte in den 70er und 80er Jahren war, die sich diese Mythologie in Verbindung mit dem Neuheidentum für ihre Politik zunutze machte. Im neofaschistischen ,,Thule-Seminar" und anderen Zirkeln wurde unter dem Arbeitstitel ,,Heide sein" ein ganz altes Denken für die Zukunft wieder neu hergerichtet und nutzbar gemacht. Völkisch- rassistische Sekten und deren Propagandisten und Theoretiker griffen die Thesen der klassisch-faschistischen Ideologen wie Paul de Lagarde, Ernst Krieck und Chamberlain wieder auf. Die Thesen von der ,,Rückkehr zur Natur" und von der ,,Welt- und Allfrömmigkeit", was allgemeinhin auch unter dem Begriff ,,New age" zusammengefaßt wird, werden im Gefolge von neurechten Zeitungen wie ,,Mut" und ,,Critico<'n" aufgegriffen und auch hier deutschnational eingefärbt propagiert. Über die Respiritualisierung erhofften sich die Neofaschisten ein weiteres Politikfeld, um hier unter dem Deckmäntelchen der Religion eine Massenbasis zu finden. Gerade diese Tätigkeit der Sektenbildung und ihr Einfluß auf Jugendliche ist bisher kaum untersucht und in die Öffentlichkeit gebracht worden. Ich meine, daß gerade in diesem Bereich bezüglich der Aufklärung ein Schwerpunkt gesetzt werden müßte. Vizepräsident Hans Klein: Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ulla Jelpke (PDS): Wie gesagt, wir unterstützen den Antrag der SPD, allerdings nicht, daß uns die SPD nur eine beratende Stimme in dieser Enquete-Kommission zugestehen will. Deswegen werden wir noch einen eigenen Antrag stellen. (Beifall bei der PDS) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Eckart von Klaeden, Sie haben das Wort. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Notwendigkeit, sich diesem Thema grundsätzlich und mit aller Ernsthaftigkeit zu widmen, ist heute schon vieles gesagt worden. Dem will ich mich anschließen, möchte es aber nicht wiederholen. Der Antrag der SPD-Fraktion, über den wir heute sprechen, bedarf meiner Ansicht nach einer erheblichen Konkretisierung, wenn die Enquete- Kommission zu Ergebnissen kommen soll, die insbesondere den Betroffenen weiterhelfen und dem Gesetzgeber Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Dafür sprechen vor allem zwei Gründe. Der eine Grund liegt in der Zeit; denn wir haben, wenn wir es genau betrachten, nur noch zwei Jahre. Wenn unsere Arbeit nicht Gefahr laufen soll, der Dis-